Dr. Google

 

Morbus Google – ist es der Keilriemen oder Lupus?

Wir kennen ja alle den Spruch: Ich habe meine Symptome gegoogelt: Es ist wohl ein defekter Keilriemen. 

Was so witzig klingt, hat aber einen ernsten Kern. Oft googeln Patienten ihre Symptome, weil sie sich nicht trauen, zum Arzt zu gehen, oder weil sie einfach eine erste Information aus dem Internet bekommen möchten. Tippt man dann sein Hauptsymptom in die Suchleiste ein, erscheinen in Sekundenbruchteilen zigtausende Ergebnisse, die einen durch die Fülle erst einmal erschlagen können. Also werden die ganz oben stehenden Seiten angeklickt. 

Und siehe da: es ist ein Tumor. Oder Multiple Sklerose. Oder eine seltene, neurologische Erkrankung wie ALS.

Das zu lesen kann schlimme Ängste auslösen, und damit ist der Teufelskreis oft vorprogrammiert. Es wird also weiter gegoogelt und diverse Onlineangebote durchsucht und dann findet man die gleiche Erkrankung auch auf einer anderen Website. Die Diagnose scheint bestätigt! 

„Vielleicht nochmal weiter schauen, da ist ja ein weiterführender Link“, denkt man sich. „Vielleicht findet man in diesem Forum ja Informationen, wie andere Betroffene ihre Erkrankung bemerkten? Aha! Da steht’s: Anni54 hatte auch Kopfschmerzen, als sie den Hirntumor diagnostizierten!“

Confirmation bias, Cyberchondrie, Nocebo-Effekt

Dann ist die Verzweiflung bei den Googlenden verständlicherweise groß. Wenn auf mehreren Seiten die gleiche Diagnose gestellt und in einem Forum bestätigt wurde, dann kann das Angst machen. Es gibt einen Fachbegriff für diese verzerrte Wahrnehmung: cornfirmation bias. Er besagt, dass wir automatisch die auftauchenden Informationen danach filtern, ob sie uns bekannt vorkommen oder nicht.

Erscheinen uns die Informationen vertraut, beispielsweise weil wir sie mehrfach gelesen oder schon davon gehört haben, schenken wir ihnen mehr Glauben.

Soziale Netzwerke nutzen unsere psychologische Schwachstelle, indem sie uns gezielt Informationen anzeigen, die immer wieder unsere Glaubenssätze bestätigen. Das findet man gerade ganz aktuell rund um alle Corona-Themen, aber auch seit Jahren schon z.B. bei der Homöopathie.

Gefangen in der speziellen Blase wird es schwer, hier wieder auszubrechen. Und einmal in einem Forum gelandet, liest man sich fest und findet keinen Absprung mehr. Die eigenen Symptome verstärken sich durch die permanente Fokussierung auf sie teilweise so sehr, dass man nicht mehr zwischen organischem und psychischem Leid unterscheiden kann.

Ich kann aus eigener Erfahrung sprechen: als ich mit 24 Jahren von meiner Veranlagung für schwere Herzrhythmusstörungen erfuhr, verschwand ich tagelang in speziellen Foren und suchte nach Informationen, wie ich mich verhalten und was mir passieren könne. Das tat mir nicht gut. Ich schaffte es aber schließlich, diese Foren nicht mehr zu besuchen.

Als mir nach Jahren ein Defibrillator implantiert wurde, beschäftigte ich mich bewusst nicht weiter mit ihm. Natürlich habe ich als Ärztin einen anderen fachlichen Blick auf mein kleines Gerät, aber gleichzeitig war (und bin) ich auch Patientin und musste mich regelrecht zwingen, nicht nach Komplikationen und Erfahrungsberichten zu lesen. Hätte ich das ausgiebig getan, würde ich jetzt wahrscheinlich nicht mehr schwimmen gehen, mit dem Mountainbike durch den Wald düsen oder 15 km joggen gehen. 

Im schlimmsten Fall können Patienten eine Cyberchondrie entwickeln. Sie bezeichnet eine dauerhafte Beschäftigung mit den Symptomen und möglichen, schweren Erkrankungen durch intensive Onlinerecherche. Manchmal dreht sich das gesamte Leben der Betroffenen darum, im Internet nach Symptomen, Behandlungsmöglichkeiten und Prognosen zu suchen, was die Symptome durch die andauernde Beschäftigung mit ihnen wiederum verstärken kann. Auch der Nocebo-Effekt spielt eine Rolle, wenn man in Erwartung der Symptome oder Nebenwirkungen eines Medikaments eben jene auch auftreten.

Dr. Google ist nicht nur schlecht 

Aber Morbus Google ist nicht nur schlecht: 52% der Onliner sind zufrieden mit den Möglichkeiten, die sich durch die Internetrecherche bieten. Viele nutzen den Dienst, um sich auf Arztgespräche vorzubereiten und/oder nach dem Termin eine Art Zweitmeinung zu erhalten. 

Das Gerücht, dass wir Ärzte die Onlinesuche hassen, bestätigt sich nicht. Etwa 80% der Ärztinnen und Ärzte haben kein Problem damit, wenn Patienten vorab „gegoogelt“ haben, schließlich sind informierte Patienten wichtig für unsere hausärztliche Arbeit. Ein Arbeiten auf Augenhöhe mit dem Patienten sollte heutzutage der Standard sein. Die veraltete Ansicht der „Götter in Weiß“, auf die der Patient ohne Widerspruch hören muss, hat seinen Platz in der Medizin verloren. 

Ein paar Ratschläge zur Onlinesuche 

Dennoch möchte ich an dieser Stelle ein paar Ratschläge zur Onlinerecherche auf den Weg geben, damit weder der Keilriemen noch der vermeintliche Hirntumor Verzweiflung auslöst.

1. Stellt präzise Suchanfragen. Gibt man einfach nur „Kopfschmerzen“ in die Suchleiste ein, ist die Streubreite an Informationen groß. Sucht man aber stattdessen nach Spannungskoprschmerzen oder Migräne, gerät das Thema „Hirntumor“ erst einmal auf die weit untersten Suchränge. Anderes Beispiel: Ihr ertastet einen kirschgroßen Knoten in der Leiste. Die Google-Suche zeigt Suchergebisse an, die von Entzündung, über Leistenbruch bis hin zum Lymphom reichen. Ist der Knoten aber schmerzhaft, tippt es in die Zeile! Schmerzhafte Knoten deuten auf Entzündungen hin und die Diagnose Krebs rückt in den Hintergrund. Ist der „Knoten“ heiß und gerötet, kann es sich um ein Furunkel oder einen Abszess handeln. Und bedenkt bitte: Das Häufige ist häufig, das Seltene ist selten. Ein entzündlich geschwollener Lymphknoten oder ein Furunkel sind deutlich häufiger als Lymphdrüsenkrebs. Nutzt die Onlinesuche nur, um euch vorab zu informieren und besprecht mit eurem Hausarzt oder eurer Hausärztin dann die Fakten.

2. Werft bei jeder Internetseite einen Blick auf das Impressum. Wer steht hinter der Seite? Das lässt sich im Zweifelsfall auch ergoogeln. Seriöse Seiten sind beispielsweise: www.weisse-liste.de, www.gesundheitsinformation.de, www.patienten-information.de, www.washabich.de, www.bzga.de oder www.impfen-info.de. Es gibt ferner ein Gütesigel für geprüfte Gesundheitsinformation, das sich afgis-Logo nennt. 

3. Prüft, ob wissenschaftliche Quellen genannt werden. Hinweis: Die Bild, das Zentrum der Gesundheit und Artikel aus Unterhaltungsmagazinen sind keine Quellen. Seriöse Literatur kann man bspw. unter pubmed.de finden. Das ist natürlich keine leichte Aufgabe. Aber vereinfacht gesagt: Schaut Euch die Quellen ganz genau an. 

4. Möchte die Seite ein eigenes Produkt and den Mann und die Frau bringen? Bestes Beispiel ist eine bekannte Internetseite, die fern der evidenzbasierten Medizin ihre Pillchen und Pülverchen verkaufen möchte. Hier gilt es, skeptisch zu werden. Medizinische Information darf nicht zum Verkauf von Heilsversprechen genutzt werden.  

5. Ist der Artikel überhaupt aktuell? Einen Text aus dem Jahr 2010 zeigt zumindest, dass die Seite lange nicht gepflegt und überarbeitet wurde. 

Dr. Google ist besser als sein Ruf

Fazit ist: Dr. Google ist besser als sein Ruf! Wer aber an einer Angsterkrankung leidet oder wen die Onlinerecherche belastet, sollte sich besser von ihr fernhalten und einen Hausarzt/Hausärztin des Vertrauens suchen. 

 

 

Quellen:

https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2018/januar/patienten-schaetzen-dr-googles-vielseitigkeit/

https://www.tk.de/techniker/magazin/digitale-gesundheit/spezial/fuer-ihre-gesundheit-und-sicherheit/qualitaetskriterien-fuer-gesundheitsinformationen-2009758

https://www.tk.de/techniker/magazin/digitale-gesundheit/spezial/gesundheitskompetenz/dr-google-richtig-nutzen-2103004

https://www.tk.de/techniker/magazin/digitale-gesundheit/spezial/gesundheitskompetenz/cyberchonder-2103014?tkcm=ab

https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/confirmation-bias-warum-uns-fakten-so-schwer-ueberzeugen,SNUD9gu

Bild: Pixabay, tumisu